Römische Handelsschiffahrt

Wiedergabe des Artikels "Handelsschiffahrt" von Werner Dettelbacher in:
Pleticha, Heinrich et Otto Schönberger: Die Römer. Ein enzyklopädisches Sachbuch zur frühen Geschichte Europas. Bindlach: Gondrom, 1992.


Mannschaften und Offiziere Schiffstypen und KapazitätSchnelligkeit und OrientierungReichweite und FrachtenHäfen und Leuchttürme


Im Gegensatz zu Griechen und Phönikern waren die Römer ursprünglich kein seefahrendes Volk. Erst in den Punischen Kriegen wurden sie gezwungen, Schiffe zu bauen und zu bemannen.

Mannschaften und Offiziere. Während die Kriegsflotten mit Römern bemannt waren, und Freigelassene oder gar Sklaven in ihr Ausnahmen blieben, wurden Handelsschiffe fast ausschließlich mit Griechen, Orientalen, Ägyptern und Nordafrikanern gefahren. Da die meisten Schiffseigner Griechen waren; blieben auch die meisten Schiffsteile und Kommandos griechisch benannt. Nur selten hat ein römischer Ritter Kapital ins riskante Schiffahrtsgeschäft gesteckt, denn Stürme die Flauten, Konkurrenz und Seeräuberei minderten immer wieder den Gewinn. Den Senatoren war durch ein Gesetz von 218 v. Chr. gar die Reederei verboten worden; zur Einfuhr ihrer Ernten aus ihren Gütern auf Sizilien und Sardinien durften sie nur Schiffe bis 300 Amphoren (2,78 Registertonnen) unterhalten.

Befehligt wurden die Schiffe von einem Trierarchen (Kapitän), dessen Titel vom häufigsten Schiffstyp, der Triere (Dreiruderer), abgeleitet war. In ihr saßen drei Reihen Ruderer übereinander. Weitere Offiziere waren der Steuermann (bei kleineren Schiffen steuerte der Kapitän), ein Nautiker zum Festlegen des Kurses und bei den wenigen reinen Lastschiffen mit Ruderern ein 3. Offizier, der diese einübte und beaufsichtigte. Bei größeren Lastschiffen fuhr auch ein Superkargo mit, der Beauftragte der Reederei, der für die Ladung verantwortlich zeichnete und den Kapitän zur Änderung der Route zwingen konnte, wenn die Ware vorzeitig abgesetzt worden war oder weitere Häfen anzulaufen waren. Ruderer wie Matrosen wurden weder gefesselt noch geschlagen, da die Offiziere stets auf sie angewiesen waren. Der Gedanke, Sträflinge auf Ruderbänken anzuschmieden und mit Peitschenhieben anzutreiben, kam erst Jacques Coeur, dem Karl VII. von Frankreich 1443 gestattete, Kriminelle und Vagabunden gratis auf seinen Schiffen auszunutzen.

Warme Verpflegung gab es auf Handelsschiffen nur am Abend, von einem der Matrosen zubereitet. Ansonsten lebten die Besatzung und zahlende Passagiere aus einem Vorrat von Mehl,Weizenhartbrot, Olivenöl, Käse, Pökel- oder Rauchffleisch, Salzfischen, Zwiebeln und Knoblauch.

Schiffstypen und Kapazität. Eine Einteilung der Schiffe nach ihrem Fassungsvermögen (z. B. BRT = Bruttoregistertonnen) war unbekannt, ja unmöglich, da die Maße je nach Küstenstrich und Ware differierten und umständlich umgerechnet werden mußten. Bei Ruderschiffen wurde die Zahl der Ruderer (Rojer) angegeben, also z. B. Pentekontore (Fünfzigruderer), oder später die Zahl der Riemenreihen, so Triere (Dreireiher) oder Pentere (Fünfreiher). Das größte Schiff der Antike, die "Alexandreia" des Hieron von Syracusae (168–214 v. Chr.) konnte zwar 1050,5 t laden, aber nur bei freundlicher See eingesetzt werden. Das von Lucian beschriebene riesige Getreideschiff "Iris" hatte umgerechnet 2893 BRT, mehr als das Normalschiff der deutschen Binnengewässer mit 2500 BRT. Die römischen Lastensegler waren in der Regel 24 bis 28 m lang und 6 bis 7 m breit bei durchgehendem Deck. Vor dem abgerundeten Heck war ein hölzerner Balkon errichtet, auf dem der Steuermann die beiden Steuerruder betätigte, und wo der Kapitän sowie vornehme Reisende sich aufhielten,durch ein Sonnensegel geschützt. Der Mast war stets aus einem Stamm gehobelt worden; Verlängerungen durch aufgesetzte Stangen waren unbekannt. Gesegelt wurde mit einem Großsegel und einem über den Bugspriet vorkragenden Vorsegel. Nur die großen Getreideschiffe setzten über das Großsegel nocb ein Toppsegel, das dreieckige Supparum. Die viereckigen Segel wurden aus mehreren Bahnen zusammengenäht und durch aufgenähte Lederstreifen senkrecht wie waagrecht verstärkt. Die Rahe fürs Großsegel mußte doppelt so lang sein wie die Schiffsbreite, also beim Normalschiff 12 bis 14 m lang. So ergab sich eine Großsegelfläche von 100 bis 120 m², mit dem Vorsegel eine Gesamtfläche von 150 bis 160 m².

Die 1930/31 durch Absenken des Wasserspiegels im Nemisee südlich Roms in den Albanerbergen freigelegten Prunkschiffe waren 64 bzw. 72 m lang, hatten nie Lasten getragen. sondern dienten als schwimmende Paläste, deren prächtige Ausstattung bereits zu Ende des Altertums bis auf Reste gestohlen worden war. Sie besaßen bereits eine als Paternosterwerk gebildete Bilgenpumpe und eiserne Anker mit beweglichem Ankerstock. 1944 zerstört, wurden sie später maßstabgetreu nachgebildet.

Schnelligkeit und Orientierung. Bei Massengütern (Getreide, Öl, Wein etc.), die frühzeitig bestellt werden konnten, spielte Geschwindigkeit keine Rolle. Bei leicht verderblichen Waren oder beim Passagiertransport waren schnelle Transporte erwünscht, und sie wurden entsprechend besser bezahlt. Gute Handelsschiffe konnten 4,2 Seemeilen (Sm) pro Stunde zurücklegen. Thukydides rechnete für die Reise von Thosos nach Amphipolis 6 bis 7 Stunden, also 6 bis 6,5 Knoten Fahrt, Xenophon berichtete, ein phönikischer Pirat sei mit seinem Schnellsegler in drei Tagen von Rhodos nach Tyros gelangt, habe also 6 Knoten pro Stunde gemacht. Für die 1200 Seemeilen lange Strecke von Gades nach Ostia benötigte man nur 7 Tage, da eine Strömung an der nordafrikanischen Küste 1 bis 2 Knoten, bei günstigem Wind gar 4 Knoten Fahrt zusätzlich lieferte. Eine Glanzleistung erbrachte der Segler, den Paulus 167 v. Chr. von Brundisium bis Kerkyra benutzte; er legte die 100 Sm bei 8 Knoten Fahrt in 12 Stunden zurück. Konvois und Flotten waren erheblich langsamer. So benötigte Gelimer 3 Tage für die 210 Sm von Calaris/Sardinien bis zur nordafrikanischen Küste.

Merkwürdig ist, daß die so praktisch veranlagten Griechen und Römer zwar das Lot besaßen, auch Grundproben entnahmen, das Log zur Geschwindigkeitsbestimmung ihnen aber nie eingefallen ist. Zu einer exakten Stundeneinteilung kam es ebenfalls nicht. Umgerechnet in unser heutiges Zeitmaß dauerte eine Stunde in Rom im Juni 75, im Dezember nur 45 Minuten; am längsten Tag hatte die Stunde in Massilia (Marseille) 76, auf Rhodos 72 Minuten. Behelfen konnte man sich mit Wasseruhren (Klepshydren), mit deren Beachtung z. B. Caesar erkannte, daß die Nächte in Britannien kürzer als auf dem Kontinent sind.

Der Steuermann orientierte sich am Tage nach dern Sonnenstand, nachts nach den Sternbildern, winters ruhte die Schiffahrt bis auf den Küstennahverkehr. Der Polarstern gehörte in der römischen Zeit dem Sternbild Drache, nicht dem Kleinen Bären an. Waren Sonne und Sterne verdeckt, so mußte der Steuermann 'blind' segeln und rudern lassen. Er benutzte bei der Kursberechung die hervorragenden Seekarten, die Marinos von Tyros (100 n. Chr.) vervollkommnet hatte. Er zeichnete als erster die Breitenparallelen und Meridiane als gerade Linien, die sich im rechten Winkel schneiden, und nahm als mittlere Breite für den Abstand der Meridiane den Abstand am 36. Breitengrad, wie ihn die holländischen Seekarten noch vor 350 Jahren benutzten. (Viele verlorene Land- und Seekarten konnten nach den Angaben und Tabellen des Ptolemaeus von Alexandria (um 150 n. Chr. gefertigt) rekonstruiert werden.) Daneben benutzten die Steuerleute Segelhandbücher, die als Periplus ("Rundfahrt") oder Stadiasmos ("Meilenweiser") angelegt waren, da der Kompaß für die Kursbestimmung unbekannt war. Diese Handbücher waren also in der Regel Küstenbeschreibungen mit Angaben der Untiefen, Anker- und Hafenplätze u. ä. Der wertvolle Periplus über das erythräische (Rote) Meer erklärt die Nutzung der Etesien (sommerliche Winde). Die nach Indien bestimmten Schiffe brechen Anfang Juli vom Hafen Berenike/Ägypten auf, benötigen 30 Tage bis zum Bab el Mandeb, werden aber vom Monsun in 40 Tagen nach Indien getrieben. Im Dezember kehren die Schiffe mit dem Nordostpassat nach Aden zurück und warten den Südwind ab, der sie nach Berenike zurücktreibt.

Reichweite und Frachten. Mit zunehmender nautischer Kenntnis konnten sich die Schiffe von der Küste lösen und direkt die großen Umschlagplätze Alexandria, Massilia, Rhodos, Delos u. a. anlaufen. Mit der Ausweitung des Reiches steuerten die Händler auch die unterworfenen Länder an, um deren Waren in Umlauf zu bringen. Britannien und die Krim, Syrien und Algerien waren für den Handel so gut erschlossen wie die italischen Kernlandschaften. Mit Verträgen wurde der Weg nach Mesopotamien, Persien und Indien geebnet, durch Stützpunkte das Rote Meer und die ostafrikanische Küste gesichert. Von dort holte man die teuren Luxusgüter, die eine verfeinerte Lebensweise der Reichen Roms forderte. So holte man laut "Periplus des erythräischen Meeres" aus Muza/Arabien Weihrauch, aus dem Vertragshafen Apolopis nahe der Euphratmündung und dem persischen Ommana Perlen, Purpur, Wein, Datteln, Gold und Sklaven, aus Barbaricum am Indusdelta das Gewürz Costus, den aromatischen Gummi Bdellium, Narde (für Parfüm und Medikamente), Schildpatt und Lapislazuli, serische Felle aus Zentral- und Ostasien, Musselin, Seidengarne und Indigo. Der begehrte Pfeffer wurde in Barygaza an der Küste von Gudscherat aufgenommen.

Als Geschenke und Tauschwaren führten die römischen Schiffe Pferde, Saumtiere, Gefäße aus Gold, poliertem Silber und Kupfer, zarte Gewebe, gemustertes Leinen, Topase, Korallen und arabischen Weihrauch mit. Aus Ostafrika holte man Elfenbein, Rhinozeroshorn, indisches Schildpatt, Palmöl, Zimt, Weihrauch und Sklaven, die nach Ägypten verkauft wurden. Als Gegenladung kamen Speere, die in Muza eigens fur den Export hergestellt wurden, Beile, Dolche, Pfrieme und Glaswaren.

Die schweren Lastschiffe wurden zum Transport von Nahrungsmitteln für die wachsende Hauptstadt benötigt, aber auch zum Transport von Hausteinen und Architekturteilen. Zahlreiche steinbeladene Schiffe sanken bei Stürmen vor der ostsizilischen Küste. Zum Transport des 496 t schweren (vatikanischen) Obelisken ließ Caligula ein Schiff von 838 t Tragfähigkeit bauen. Die wertvollste Beiladung waren Passagiere, von denen die gut zahlenden beim Kapitän und Offizieren wohnten und speisten. Eng gepfercht und auf mitgebrachte Kost angewiesen war die Masse der Passagiere. Das Weizenschiff, das den heiligen Paulus 61 n. Chr. von Myrrha in Lykien nach Rom bringen sollte, aber an Maltas Küste strandete, hatte 276 Menschen an Bord.

Häfen und Leuchttürme. Der älteste italienische Hafen von Weltgeltung (daher Klein-Delos genannt) war Puteoli (Pozzuoli), eine Gründung von 529/528 v. Chr., seit 194 v. Chr. römische Kolonie, in dessen Schatten bis Mitte des 1. Jahrhunderts Ostia, der Hafen Roms an der Tibermündung, stand. Puteoli hatte eine große Mole von 372 m Länge und 15 bis 16 m Breite und einen Kai von 400 m Länge. Die Molen, in der Römerzeit gewölbt, dienten der Kontrolle einfahrender Schiffe und schützten die löschenden Schiffe vor rauher See. Nachdem der Hafen des alten Ostia den enormen Schiffsverkehr nicht mehr bewältigen konnte, wurde unter Claudius und Nero ein riesiges sechseckiges Becken ausgehoben und darum herum die Stadt Portus (= "Hafen"; heute Fiumicino) angelegt, die durch einen Kanal mit Ostia verbunden wurde. Erst als Constantinopolis Hauptstadt des Reiches wurde (nach 330), begann der Abstieg von Ostia-Portus, das 1557 endgültig auf dem Trockenen saß, als der Tiber seinen Lauf änderte. Reine Kunsthäfen, deren Molen auf gegossenen Kunststeinpfeilern ruhten, waren z. B. das unter Traian erbaute Centumcellae (Civitavecchia), dessen Hafen die Sarazenen 828 gründlich zerstörten, oder das von Caesar 48 v. Chr. gegründete Forum Iulii (Fréjus zwischen Toulon und Nizza), das, im sumpfigen Gelände angelegt, nicht zur erhofften Konkurrenz von Massilia wurde.

Meeresengen und Hafeneinfahrten waren durch Leuchttürme gesichert, von denen 20 genau bekannt sind. Der berühmteste und größte stand auf der Insel Pharus vor dem östlichen Hafenbecken von Alexandria. Zwischen 299–280 v. Chr. erbaut, reichten seine drei Stockwerke 60 Meter hoch, die Feuerhöhe war 110 Meter. Die Sicht betrug 20 Sm, wobei ein Hohlspiegelsystem eine scheinwerferartige Wirkung erzielte. Lange stand der Leuchtturm von Boulogne-sur-Mer, unter Caligula erbaut; von Karl dem Großen während der Normanneneinfälle wieder hergestellt, stürzte er 1644 wegen Felsunterwaschung ein. Der einzige erhaltene römische Leuchtturm ist der zu La Coruña in Nordwestspanien, der unter Traian (Regieringszeit: 98–117) erbaut wurde.


http://www.thomas-golnik.de • 07.05.2001 • mail@thomas-golnik.de