Der Arzt im Altertum

Wiedergabe der Seiten 5 bis 19 aus Matthäus, Hartmut: Der Arzt in römischer Zeit. Literarische Nachrichten – archäologische Denkmäler. I. Teil. Aalen: Limesmuseum, 1987. (Schriften des Limesmuseums Aalen, 39).

NB: Auf eine Wiedergabe der Abbildungen wurde an dieser Stelle verzichtet.


Einleitung 
Die Medizin der Griechen

Die Medizin der Römer
Altrömisches Erbe und griechische WissenschaftDie römischen Ärzte und MedizinschriftstellerAusbildung und sozialer Status des römischen Arztes

Der Arzt, der jede Pflanze nennt,
Die Wurzeln bis ins Tiefste kennt,
Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,
Umarm ich hier in Geist- und Körperkraft!

Johann Wolfgang von Goethe, Faust.
Der Tragödie zweiter Teil (Klassische Walpurgisnacht)

Einleitung

Nicht zu den geringsten geistigen Errungenschaften griechisch-römischer Kultur zählt die Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten Medizin, die – im wesentlichen eigenständig – die rudimentäre Heilkunde der vorklassischen Kulturen des östlichen Mittelmeergebietes, d. h. Ägyptens und des Vorderen Orients, weit hinter sich ließ, und die durch ihr Weiterleben in der Überlieferung des Mittelalters von einer kaum zu überschätzenden Wirkung auf das Abendland war.

Griechischer Genius hat auch auf diesem Gebiete wie auf so vielen anderen europäischer Kultur "Geist und Methode abendländischer Forschung entwickelt und geübt" (Arno Schmidt); römischer Sinn für Systematisierung und praktische Nutzanwendung hat das Überleben dieser Tradition gesichert.

Die Erforschung antiker Medizin, die nur im Zusammenklang der klassischen Philologie, alten Geschichte und klassischen Archäologie fruchtbare Erkennrnisse zu erzielen vermag, hat nach einer Blüte um die Wende unseres Jahrhunderts, als viele der noch heute gängigen Standardwerke entstanden, eher einen Dornröschenschlaf gehalten. Erst seit den siebziger Jahren läßt sich ein erneuter Aufschwung beobachten, der die philologische Wissenschaft, mehr aber noch die Archäologie kennzeichnet. In Deutschland sind es Antje Krug und Ernst Künzl gewesen, die auf dem archäologischen Sektor unsere Kenntnisse immens bereichert haben, und auf deren Vorarbeiten der Verfasser dankbar fortschreitet.

Wenn hier der Versuch einer zwar kurzgefaßten, aber sachlich weitgespannten Darstellung römischer Medizin unternomrnen wird, so geschieht das, um einen Leitfaden zu schaffen, der nicht nur die literarischen Nachrichten, sondern auch die archäologischen Denkmäler, nicht zuletzt die der nordwestlichen Provinzen des Imperium Romanum, in das ihnen gebührende Licht rückt. [...]

GRIECHISCH-RÖMISCHE MEDIZIN

Die Medizin der Griechen

Der Beruf des Arztes läßt sich in der klassischen Antike bis in das 8. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen. Homer rühmt in der Ilias Podaleirios und Machaon, zwei Söhne des Asklepios, des späteren griechischen Heilgottes, die vor allem in der Behandlung der Wunden, welche die Heroen des Trojanischen Krieges auf dem Schlachtfeld empfangen, ausgebildet sind. Als Machaon im Kampf verwundet wird, läßt der kretische Herrscher Idomeneus ihn durch Nestor vom Schlachtfeld bringen: "Denn ein Arzt ist höher denn viele andre zu achten, Pfeile herauszuschneiden und lindernde Kräuter zu streuen." (Ilias XI, 514 f.) Dieses viel zitierte Wort stellt das älteste in der abendländischen Literatur überlieferte Urteil über den Beruf des Arztes dar. Für die vorangehende Zeit, die Periode der kretisch-mykenischen Kultur, helfen allein die Aussagen der Archäologen weiter: Skelettfunde weisen auf eine Fülle pathologischer Veränderungen, belegen zugleich auch vielfältige Möglichkeiten medizinischer Eingriffe von der Behandlung von Knochenbrüchen bis hin zur Trepanation, d. h. der Öffnung des Schädels zu therapeutischen Zwecken. Ein mykenisches Grab in Nauplion (Peloponnes), der Zeit um 1400 v. Chr. angehörend, barg sogar spezialisiertes chirurgisches Gerät – Sonden, Meißel und eine Zange.

Hippokrates von Kos

Eine echte wissenschaftliche Medizin entwickelte sich nicht vor dem 5. Jahrhundert v. Chr.; verbunden ist ihre Entstehung mit der Person des Hippokrates, des größten Arztes des Altertums, der um 460 v. Chr. auf der Sporadeninsel Kos geboren wurde, als Angehöriger einer Familie, die sich auf den Heilgott Asklepios zurückführte und seit Generationen dem Ärztestand angehörte. In Kos entstand in den folgenden Jahrhunderten eines der größten und berühmtesten Heiligtümer dieses Gottes. Hippokrates war der erste, der es verstand, das Wissen über Krankheit und Gebrechen im Wort festzuhalten. Unter seinem Namen ist ein vielbändiges Corpus medizinischer Schriften auf uns gekommen, das jedoch die moderne Altertumswissenschaft als zu guten Teilen später entstanden erkannt hat. Alt sind wahrscheinlich die sogenannten Epidemiai, eine lose Sammlung von Fallstudien, von individuellen Krankengeschichten, und das sogenannte Prognostikon, eine Abhandlung über Symptome und Begleiterscheinungen von Krankheiten und die Voraussagemöglichkeiten des Arztes. Die Harmonie der Körperfunktionen und der Körpersäfte stand im Mittelpunkt der Lehre des Hippokrates und seiner Schüler. Ihre Störung führt zur Krankheit, der der Arzt durch Schröpfen, Aderlaß, abführende Mittel, notfalls durch chirurgische Eingriffe abhelfen muß.

Schon das Altertum nahm Hippokrates als Autor des Eides in Anspruch, der das moderne Bild antiker Medizin mehr als jeder andere Text geprägt hat. Der hippokratische Eid ist erstmals im ersten Jahrhundert n. Chr. vollständig überliefert:

Eid des Hippokrates

"Ich schwöre und rufe Apollon den Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, daß ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde.

Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern achten, ihn an meinem Unterhalt teilnehmen lassen, ihm, wenn er in Not gerät, von dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich meinen Brüdern halten und sie diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne Entgelt und Vertrag. Und ich werde an Vorschriften, Vorlesungen und aller übrigen Unterweisung meine Söhne und die meines Lehrers und die vertraglich verpflichteten und nach der ärztlichen Sitte vereidigten Schüler teilnehmen lassen, sonst aber niemanden.

Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen des Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.

Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und werde auch niemanden dabei beraten; auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben.

Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.

Ich werde nicht schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben.

In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewußten Unrecht und jeder Übeltat, besonders von jedem geschlechtlichen Mißbrauch an Frauen und Männern, Freien und Sklaven.

Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.

Wenn ich diesen Eid einhalte und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil." (Übersetzung H. W. Koelbing)

Die moderne Wissenschaft ist sich heute weitgehend einig, daß der Text kaum auf Hippokrates selbst zurückgeht, obgleich die genaue Entstehungszeit noch keineswegs geklärt scheint. Übereinstimmung herrscht auch darüber, daß die Eidesformel sicherlich nicht die allgemeine ethische Einstellung antiker Ärzte spiegelt, sondern stark durch Gedankengut pythagoreischer Philosophie geprägt ist. Dies gilt besonders für das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord, da der Selbstmord im Altertum keineswegs aus moralischen oder religiösen Gründen als verwerflich galt. Ebensowenig wurde die Beihilfe zur Selbsttötung juristisch verfolgt. Die Ablehnung des Selbstmordes, die erst mit dem Vordringen des Christentums allgemein wurde, zählt zu den Grundsätzen der Pythagoreer. Ebenso pythagoreisch beeinflußt ist vermutlich das Verbot der Abtreibung, die in Griechenland wie in Rom als Mittel zur Begrenzung der Kinderzahl neben Kindesaussetzung praktiziert wurde und gleichfalls weder juristischen noch moralisch-ethischen Restriktionen unterworfen war. Schließlich dürfte die Ablehnung des chirurgischen Eingriffes, betont im Verbot des Steinschneidens, gleichfalls pythagoreische und keinesfalls hippokratische Wurzeln haben. Der Steinschnitt, die Lithotomie, galt als zwar schwierige und gefährliche, aber keineswegs hoffnungslose, das Ansehen der Ärzte herabsetzende Operation. So ist die Eidesformel sicher nicht Ausdruck der Standesethik griechischer und römischer Ärzte, sondern allenfalls die prägnante Formulierung der medizinischen Grundsätze einer kleinen, durch rigorose religiös-philosophische Anschauungen geprägten Gruppe.

Manche Passagen des Eides, so die Betonung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, die bis zur Gleichstellung der Kinder des Lehrers mit den eigenen leiblichen Nachkommen gehen kann, entsprechen dagegen verbreiteren antiken Traditionen. Auch die Schweigepflicht und das Verbot des sexuellen Umganges mit Angehörigen und Sklaven von Kranken dürften, wie leicht einzusehen ist, allgemein ethische Grundsätze spiegeln, ebenso natürlich die Anweisung, nur zu Nutz und Frommen des Kranken nach bestem Vermögen und Urteil zu handeln.

Archäologische Denkmäler

Von der hohen Wertschätzung des ärztlichen Standes bei den Griechen der archaischen und klassischen Zeit zeugen neben den Schriftquellen auch die archäologischen Denkmäler: In Megara Hyblaea, einer der griechischen Kolonialstädte Siziliens, kam ein Marmorkouros zutage, der auf dem Oberschenkel den Namen des Sombrotidas, Sohnes des Mandrokles, trägt, der sich in der Inschrift als Arzt ausweist. Die Statue krönte vermutlich sein Grab.

Eines der vielleicht eindrucksvollsten Denkmäler griechischer Medizin bildet ein ostionisches oder inselionisches Grabrelief der Zeit um 400/80 v. Chr., das vor einigen Jahrzehnten das Baseler Museum erworben hat: Der Arzt sitzt dort auf dem Klappstuhl und wendet sich einem Sklavenjungen zu, der Schröpfkopf und Messer (?) herbeiträgt. Schröpfköpfe im Hintergrund kennzeiehnen zusätzlich den Beruf des Arztes. Der Arzt, in Chiton und Mantel gehüllt, stützt sich auf einen langen Stock, das Kennzeichen des griechischen Bürgers; die ruhige würdige Gelassenheit des Mannes, der in der Reife seiner Jahre dargestellt ist, bietet ein schönes Denkmal ärztlichen Selbstbewußtseins in der Zeit der beginnenden griechischen Klassik.

Medizin in Alexandria

Um 300 v. Chr. schuf der Diadochenkönig Ptolemaios I. im neugegründeten Alexandria in Ägypten das Mouseion als Stätte der Künste und Wissenschaften, wobei die Medizin keine geringe Rolle spielte. Die Ärzte von Alexandria scheinen die Systematisierung und Spezialisierung der Medizin vorangetrieben zu haben, vor allem dürften sie die großen Bereiche der Diätetik, Pharmazeutik und Chirurgie als eigenständige medizinische Sparten deutlicher definiert haben.

Zungleich haben die Alexandriner, so vor allem Erasistratos von Keos, eine bessere Kenntnis der Körperfunktionen erlangt, indem sie in anscheinend erheblichem Umfang Sektionen vornahmen. Die Überlieferung weiß sogar von Vivisektionen an zum Tode verurteilten Verbrechern zu berichten.

Die Medizin der Römer

Altrömisches Erbe und griechische Wissenschaft

Der Arzt in der Satire des Martial

Martial, der größte Satiriker der römischen Kaiserzeit, der die moralischen Schwächen seiner Zeitgenossen ebenso mitleidlos gegeißelt hat wie die gesellschaftlichen Mißstände des Roms des ersten Jahrhunderts nach Christus, hat in seinen Spottversen auch die Ärzte seiner Zeit nicht verschont:

"Jüngst war er Arzt, und jetzt ist Leichenträger Diaulus, legt er jetzt Leichen aufs Bett, tut er, was früher der Arzt." (I 47)

Oder gar:

"Charidem, du weißt es und läßt deine Frau mit dem Arzte trotzdem liebeln. Du willst, daß ohne Fieber du stirbst!" (VI 31)

Solche satirisch überspitzten Invektiven spiegeln natürlich keineswegs die Einstellung der Römer zum Ärztestand. In ihnen kommen eher in pointierter Weise Vorurteile und verdrängte Ängste einem Berulfsstand gegenüber zum Ausdruck, dem man ob der ihm verliehenen Macht zu allen Zeiten nicht nur mit Bewunderung, sondern auch mit leiser Furcht begegnet ist. Liegen in der Hand des Arztes doch nicht nur die Möglichkeiten zu Heilung und Gesundung von Krankheiten und Verletzungen, sondern auch die Möglichkeiten des Versagens und – schlimmer noch – die Möglichkeit des Mißbauchs seiner Kenntnisse. Dies ist im Altertum nicht anders gewesen als in späteren Jahrhunderten. Die Meinung der Mehrheit seiner Zeitgenossen gibt Martial sicher nicht wieder, denn gerade im kaiserlichen Rom war der Ärztestand ein Berufsstand von hohem Ansehen, dem sich die vielfältigsten Möglichkeiten einer glänzenden Karriere boten.

Das republikanische Rom

Es gibt keine wissenschaftlich begründete medizinische Tradition genuin römischer Herkunft. Ärztliche Kenntnisse dürften schon früh über die Griechenstädte Unteritaliens und Siziliens, vielleieht auch durch den Einfluß der Phönizier nach Etrurien gelangt sein: Bodenfunde zeigen, daß in Einzelfällen die etrukische Medizin durchaus Glanzleistungen aufweisen konnte, etwa in der Zahnprothetik. Das archaische Rom scheint hiervon jedoch kaum profitiert zu haben. Medizin als wissenschaftlich fundeiertes Lehrgebäude hielt erst im zweiten Jahrhundert v. Chr., als das römische Weltreich nach der Bezwingung der hellenistischen Staaten des östlichen Mittelmeeres sich dem Einfluß griechischer Kunst, Wissenschaft und Literatur öffnete, in Latium ihren Einzug.

Cato bietet Rezepturen

Manche der griechischen Ärzte, die nun nach Rom strömten, waren gewiß Pfuscher und Scharlatane, die schnell zu Ruhm und Reichtum gelangen wollten. So verwundert es kaum, daß römische Autoren, die der ältere Cato (234–149 v. Chr.), der die altrömischen Tugenden und Traditionen gegen die neuen hellenistischen Einflüsse zu verteidigen suchte, oder selbst noch im ersten Jahrhundert nach Christus Plinius, der Verfasser der Naturgeschichte, Abfälliges und Kritisches über die ärztliche Wissenschaft ihrer Zeit äußern. Und ihr Urteil ist sicher ernster zu nehmen und fundierter als das des Satirikers Martial. Doch gründet sich beider Urteil auf einer von altrömischen Wertvorstellungen und gesellschaftspolitischem Konservativismus geprägten Geisteshaltung.

Lucius Porcius Cato's [sic] Werk über die Landwirtschaft (de agri cultura) bietet an verschiedenen Stellen Rezepturen und Anweisungen, wie die Gesundheit der Mitglieder eines Gutshofes zu erhalten und zu verbessern sei. Dabei erschließt sich ein anschauliches Bild des Entwicklungsstandes römischer Medizin der republikanischen Zeit.

Cato empfiehlt als Allheilmittel verschiedene Kohlsorten, die als Speise die Verdauung fördern sollen, deren Saft bei Übelkeit dem Patienten zum Erbrechen verhilft und den er zerkleinert auf Wunden und Entzündungen aufträgt. Ein anderes wohlfeiles Hausmittel ist Wein mit allerhand Beimischungen: mit Nieswurz zum Abführen, mit Stücken von Wacholderholz gekocht gegen Hüftweh. Wenn dies alles nichts hilft, so bleibt bei vielen Leiden nur die Zuflucht zu Zaubersprüchen, von denen Cato einige in archaischem, schon zu seiner Zeit schwer verständlichem Latein überliefert. Von einer echten Pharmazeutik, einer differenzierten, auf anatomischen Studien beruhenden Chirurgie oder gar einer philosophisch begründeten Fachliteratur waren die Römer der Republik weit entfernt. Hinter den Zaubersprüchen und Hausmitteln stehen alte Volkstraditionen, die nun mir der zur Zeit Catos nach Rom neu eindringenden medizinischen Wissenschaft der Griechen zusammenprallten.

Griechische Ärzte kommen nach Rom - Plinius berichtet über Heilmittel

Als erster griechischer Arzt ließ sich Archagathus, Sohn des Lysanias, im 535. Jahre der Stadt, d. h. 219 v. Chr., in Rom nieder. Er bekam wegen seines sorglosen Umganges mit Messer und Brenneisen nach anfänglichem Erfolg schon bald den Beinamen carnifex (Schinder oder Henker). Dennoch etablierten sich von nun an immer mehr Ärzte aus dem griechischen Osten in der Hauptstadt des Imperiums. Ihre Zahl muß in der Kaiserzeit außerordentlich groß gewesen sein. Mit der fortschreitenden Eingliederung Galliens, Rätiens, Noricums, der germanischen Provinzen und Britanniens strömten aus Griechenland und Kleinasien stammende oder zumindest in griechischer Tradition ausgebildete Ärzte auch in die nördlichen Randgebiete des Reiches.

Ein anschauliches, wenngleich parteilich gefärbtes Bild vom Medizintrieb im Rom des ersten Jahrhunderts n. Chr. vermittelt Gaius Plinius Secundus, der sich als Staatsbeamter, Befehlshaber der römischen Flotte und als Naturforscher gleichermaßen ausgezeichnet hat.

Im 29. Buch seiner enzyklopädischen Naturgeschichte (naturalis historia) handelt er über die Heilmittel und versucht dabei, einen kurzen Abriß der Geschichte der Medizin zu geben. Er schildert mit leicht ironischem Unterton die medizinischen Schulen und Anschauungen seiner Zeit, um sich dann in pathetischer Klage den Modeärzten und Ärzten des Kaiserhofes zuzuwenden, die, wenn Plinius' Informationen verläßlich sind, gigantische Einkommen erzielten. So soll Gaius Stertinius Xenophon aus Kos, Leibarzt des Kaisers Claudius (41–54 n. Chr.) geäußert haben, er gebe sich mit 500 000 Sesterzen Honorar im Jahr zufrieden, obwohl er vorher von seiner Privatkundschaft eine weitaus größere Summe erzielt habe. Er und sein Bruder, dessen Beruf unbekannt ist, hinterließen angeblich eine Erbschaft von 30 Millionen Sesterzen, eine für antike Verhältnisse alle Vorstellungen übersteigende Summe.

Die Karriere des Gaius Stertinius Xenophon läßt sich glücklicherweise neben dem Zeugnis des Plinius auch durch Inschriften und Denkmäler rekonstruieren: Er wurde um das Jahr 10 v. Chr. in Kos geboren und erhielt dort seine medizinische Ausbildung. Nach Rom gekommen, erwarb er das römische Bürgerrecht und machte eine steile Karriere als Leibarzt des Tiberius, Caligula und Claudius. Obwohl er in den Verdacht geriet, an der Ermordung des Claudius beteiligt gewesen zu sein, kehrte er reich und angesehen nach Kos zurück. Die Koer errichteten ihm Standbilder und setzten sein Bildnis sogar auf ihre Münzen. Er selbst rnachte dem Heiligtum des Asklepios in Kos reiche Zuwendungen, indem er Gebäude wieder instandsetzen ließ und den Ausbau der Wasserversorgungsanlagen finanzierte. – Alles in allem eine Ausnahmekarriere.

Zurück zu Plinius: Plinius beklagt die Scharlatanerie der griechischen Ärzte, die in Rom wirkten und polemisiert weiter – im Tone Cato nicht unähnlich – daß jahrhundertelang das römische Volk Künste und Kenntnisse fremder Nationen sofort übernommen habe, von griechischer Medizin aber nichts habe wissen wollen. Ja, er zitiert sogar Cato, der in einem Brief an seinen Sohn Marcus aus Athen berichtete, daß die griechischen Ärzte sich verschworen hätten, alle barbarischen Völker mit Hilfe ihrer Medizin zu töten, und dafür noch Geld nähmen, um bei den so hinters Licht geführten Patienten Vertrauen in die Behandlung zu erwecken!

Den tiefen Grund seines Unbehagens offenbart die Bemerkung, vor dem Einzug griechischer Ärzte habe man in Rom sine medicus ... nec tamen sine medicina (ohne Ärzte, aber dennoch mit Medizin, nat. hist. 29, 8, 11) gelebt. Das Vorurteil des Plinius richtet sich vor allem gegen die Medizin als Brotberuf. Es stößt ihn ab, wie er schreibt, daß jemand aus der Erhaltung des Lebens Gewinn ziehe. Dies sei mit römischer gravitas, römischer Würde, unvereinbar. Plinius hat sicher insofern nicht unrecht, als das frühkaiserzeitliche Rom auch zum Tummelplatz von Scharlatanen und Hochstaplern wurde, die schnell vom Reichtum der Hauptstadt profitieren wollten. Von den unfähigen Modeärzten der römischen Kaiserzeit spricht auch noch Lucian, wenn er in seiner Schrift über den ungebildeten Büchernarren (Kap. 29) seinen Spott ausgießt über die "ungeschicktesten unter den Ärzten, die mit elfenbeinernen Arzneibüchsen, silbernen Schröpfköpfen und vergoldeten Skalpellen Parade machen, aber wenn es darauf ankommt, sie zu gebrauchen, nicht einmal damit umzugehen wissen: wohingegen der geschickte Arzt eine wohlgeschärfte Lanzette, die übrigens so rostig aussehen mag, als sie will, hervorzieht und den Kranken von seinem Schmerz befreit" (Übersetzung von Chr. M. Wieland, leicht verändert).

Doch kann die teils berechtigte, teils überspitzt und oberflächlich anmutende Kritik nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade im ersten Jahrhundert n. Chr. durch die griechischen Ärzte für die Kranken in Italien und den Provinzen ein ungeheurer Fortschritt erzielt wurde.

Die römischen Ärzte und Medizinschriftsteller

Da die Römer auf dem Gebiet der Medizinwissenschaft von Erkenntnissen und Traditionen des Griechentums profitierten, nimmt es nicht Wunder, daß in der römischen Kaiserzeit nicht nur die Ärzte, sondern auch die Schriftsteller, die medizinische Traktate verfaßten, zu einem guten Teil dem hellenisierten Osten des Imperiums entstammten und in ihrer griechischen Muttersprache schrieben.

Aulus Cornelius Celsus – Medizinschriftsteller im 1. Jhd. n. Chr.

Der erste wichtige Autor der Kaiserzeit jedoch ist ein Römer, Aulus Cornelius Celsus, der zur Zeit des Kaisers Tiberius (14–37 n. Chr.) in einem großen enzyklopädischen Werk Landwirtschaft, Kriegswesen, Rhetorik, Philosophie, Jurisprudenz und schließlich auch Medizin behandelte. Seine acht Bücher der Heilkunde weisen ihn als klar denkenden, wissenschaftlich geschulten Kopf aus, der zugleich ein höchst elegantes Latein geschrieben hat. Die acht Bücher seines Werkes behandeln fast alle Bereiche ärztlichen Wirkens im Altertum: Anatomie, Diätetik, Pharmakologie, Innere Medizin, Dermatologie, Augenheilkunde, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Geburtshilfe, und schließlich im VII. Buch die Chirurgie. Celsus steht in der Tradition der alexandrinischen Schule. Er ist der erste, der eine ganze Reihe medizinischer Termini technici aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt hat. Sein Werk bildet eine unerschöpfliche Fundgrube für jeden, der sich mit der Medizin der Antike auseinandersetzt; nicht zuletzt auch deshalb, da Celsus die historische Entwicklung der griechischen Medizin in der Vorrede seines Werkes skizziert. Celsus war übrigens der erste antike Medizinschriftsteller, dessen Werk in der Neuzeit im Druck vorlag – schon 1478, nachdem das bis dahin verschollene, dem Mittelalter offenkundig unbekannte Werk um 1460 in einer Handschrift wiederentdeckt worden war. Seine Wirkung ist daher nicht zu unterschätzen. Erst 1483 folgten im Druck lateinische Übersetzungen von Texten des Hippokrates und Galen.

Die drei Bereiche Pharmazeutik, Diätetik und Chirurgie, erstmals in der Medizin der Alexandrischen [sic] Schule exakt definiert (obgleich bereits bei Hippokrates im Ansatz erkennbar) sind auch für Celsus die drei Gebiete, die der Arzt beherrschen muß. Über ihre Wertigkeit scheint kein Zweifel: Bei Pharmazeutik und Diätik [sic] kann man, wie Celsus (die folgenden Zitate aus der Einleitung zu Buch VII) schreibt, im Unklaren sein, "ob die Helstellung der Gesundheit den angewandten Mitteln oder der Selbsthilfe des Körpers zuzuschreiben ist", da "das Glück eine so große Rolle spielt und dieselben Mittel bald heilen, bald wirkungslos sind" – eine Aussage, die vorurteilsfrei den Stand antiker Arzneimitteltechnik umschreibt. Celsus fährt fort: "Bei dem chirurgischen Teil der Medizin ist aber offenbar der meiste Erfolg dem chirurgischen Eingriff selbst zuzuschreiben, wenn er auch zum Teil von den anderen Teilen der Heilkunst unterstützt wird."

Celsus hat auch Vorstellungen über Person und Fähigkeiten des Wundarztes, über die Art und Weise, wie er sich dem Kranken, für den die Operation in einer Zeit, die weitgehend auf eine Anaesthesie verzichten mußte, in jedem Fall mit Schmerz und Qual verbunden war, gegenüber zu verhalten hat und wie er schließlich seine Operationen auszuführen hat:

"Ein Wundarzt muß im kräftigen Mannesalter oder wenigstens diesem näher stehen als dem Greisenalter. Seine Hand sei sicher und fest und zittere nie; er sei ebenso geschickt im Gebrauch der linken als der rechten Hand. Scharf und hell sei die Sehkraft seiner Augen, furchtlos sein Gemüt, und mitfühlend sei er nur in der Weise, daß es sein fester Wille ist, den in Behandlung genommenen Kranken zu heilen, ohne sich durch daß Geschrei desselben rühren und zu größerer Eile, als es die Umstände erfordern, oder zu weniger kleinen Schnitten als nötig sind, bestimmen zu lassen: Vielmehr führe er alles aus, als ob durch das Klagegeschrei des Kranken bei ihm gar kein Mitleid erregt würde." Bis heute ungeklärt ist die Frage, ob Celsus Arzt war oder nur als Theoretiker aus dem vorhandenen Schrifttum geschöpft hat. Wie immer die Antwort ausfallen mag, seine Leistung im Zusammentragen der Erkenntnisse seiner Vorgänger, der Systematisierung und klugen, klaren Präsentation stellen die meisten seiner Nachfolger weit in den Schatten.

Zu den großen Praktikern der Kaiserzeit zählt Soranus von Ephesus, ein Grieche, der unter der Regierung Traians (98–117) lebte und einige Schriften hinterlassen hat, die einen guten Einblick in die Frauenheilkunde und Geburtshilfe erkennen lassen. Sein Werk ist von Schriftstellern wie Moschion (5. Jahrh.) und Caelius Aurelianus Siccensis (4./5. Jahrh.) weiter benutzt worden. Soranus war danach sicher einer der großen Mediziner des Altertums. Nicht weniger Bedeutung hat Rufus von Ephesos (um 100 n. Chr.) gewonnen, dessen Werk über die Nieren- und Blasenleiden sich erhalten hat – auch er Arzt und Schriftsteller zugleich.

Galenos von Pergamon – Leibarzt des Kaisers Commodus

Letzte Blüte und den Endpunkt ihrer Entwicklung erreichte die römische Medizin jedoch durch den berühmtesten Arzt der römischen Kaiserzeit, Galenos von Pergamon, einen Griechen, der 129 n. Chr. geboren wurde, in Pergamon, Smyrna und Alexandria seine Ausbildung erhielt. Mit etwa 25 Jahren übte er zunächst in Pergamon eine Tätigkeit als Gladiatorenarzt aus und ging schließlich nach Rom. Er erwarb sich bald einen so guten Ruf als geschickter Diagnostiker, daß er an den kaiserlichen Hof berufen wurde. Zuletzt betreute er Commodus, eien Sohn Marc Aurels. Seine letzten Lebensjahre (bis 199 n. Chr.) dürfte er wieder in Pergamon verbracht haben. Galen war ein äußerst produktiver Schriftsteller, der eine intensive, oft auch polemische Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Ärzteschulen und seinen Vorgängern betrieben hat. Galen hat vor allem auf den Gebieten der Pharmakologie, Therapeutik und Anatomie zwar nicht grundlegend Neues geleistet, wohl aber eine methodische Sichtung des zu seiner Zeit Bekannten betrieben. Der Chirurgie scheint er weniger Interesse entgegengebracht zu haben. Grundlage seiner medizinischen Anschauungen ist die auf Hippokrates zurückgehende Viersäftelehre. Philosophische Erörterung, Theorie und Spekulation nehmen bei ihm breiten Raum ein.

Vor allem das Mittelalter hat Galen, und zwar nicht zuletzt den spekulativen Galen, als die bedeutendste Aurorität auf medizinischem Gebiet angesehen und weitgehend aus seinen Schriften geschöpft. Ihm war unter allen Medizinern der Antike die größte Nachwirkung beschieden. Manche Punkte seiner Lehre, so das Ahlehnen des Sezierens, haben eher einen Rückschritt gebracht. Auf Galen folgten kaum noch eigenständige Gelehrte, die praktische Fortschritte erzielt und sie auch darzustellen gewußt hätten. Die Spätantike ist die Periode der Autoren, die durchweg unkritisch aus älteren Quellen schöpften. Umfangreichere medizinische Enzyklopädien sind aus der Feder des Oribasius (4. Jahrhundert) und des Aetius (1. Hälfte des 6. Jahrhunderts) auf uns gekommen, letzterer vor allem als Überlieferer von Exzerpten seiner Vorgänger wichtig. Mit Aetius ist bereits die Grenze zum byzantinischen Mitttelalter überschritten. Am Ende der antiken Tradition steht Paulus von Aegina (6./7. Jahrhundert), wie die meisten wissenschaftlichen Autoren seiner Zeit ein Kompilator, der die Schriften des Galen und Soranus als Quell benutzte, es aber verstanden hat, die wissenschaftlichen Erkenntnisse antiker Medizin geschickt und übersichtlich darzustellen.

Ausbildung und sozialer Status des römischen Arztes

Eine staatlich geregelte Berufsausbildung im heutigen Sinne hat es im Altertum nicht gegeben, auch nicht für den Arzt. In der Frühzeit der griechischen Medizin ist das Handwerk vielfach innerhalb der Familie tradiert worden. So spricht noch der hippokratische Eid von Verhältnissen, die eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen Lehrer und Schüler zur Grundlage haben. Im Hellenismus und in römischer Zeit hat sich dies gewandelt. Manche Ärzte unterrichteten gegen Honorar, und manch einer von ihnen hat größere Zahlen von Schülern ausgebildet. Auch erfolgte die Ausbildung oft an unterschiedlichen Orten, bei unterschiedlichen rnedizinischen Lehrern. Pergamon und Alexandria waren auch in der römischen Kaiserzeit noch die Zentren ärztlicher Wissenschaft. Und die römische Kaiserzeit wurde natürlich auch die Zeit der ärztlichen Spezialisierung: Augenheilkunde, Geburtshilfe und Gynäkologie, Chirurgie sind einige der damals intensiver gepflegten Spezialgebiete.

Auf einem Wandbild der Katakombe an der Via Latina in Rom sieht man den ausbildenden Arzt im Kreise seiner Schüler beim Anatomieunterricht: Vor ihnen liegt eine geöffnete Leiche, die als Demonstrationsobjekt dient – eines der eindrucksvollsten, von Ernst und Verantwortungsbewußtsein des Berufes getragenen Monumenre, welche über die Selbsteinschätzung der Ärzte ebenso wie ihr soziales Ansehen Auskunft geben.

Das satirisch überspitzte Gegenbild zeichnet mit treffendem Spott Martial im ersten Jahrhundert n. Chr. Er kennzeichnet das geschäftige und geschäftstüchtige Treiben von Ärzten, die eine große Schülerzahl um sich scharen, folgendermaßen:

"Ich war krank, doch du, von hundert Schülern begleitet,

bist auf der Stelle sofort, Symmachus, zu mir geeilt.

Hundert Hände, sie haben, vom Nord[-wind] erstarrt, mich betastet:

hatte kein Fieber, doch jetzt, Symmachus, hab ich's gewiß." (V 9)

Sklaven, Freigelassene, Griechen als Ärzte

Der römische Arzt verdiente durch seine Wissenschaft seinen Lebensunterhalt. Der ärztliche Beruf ist in Rom zu einem guten Teil von Ausländern, vor allem von Griechen, ausgeübt worden. Wie wir gesehen haben, standen diese vielfach gesellschaftlich in gutem Ruf und konnten zu Vermögen kommen. Sie erwarben unter Umständen auch das römische Bürgerrecht. So soll schon Caesar den ausländischen Ärzten in Rom das Bürgerrecht verliehen haben. Daneben wurden auch Sklaven zum Arztberuf ausgebildet, in Haushalten, die viele Personen umfaßten, und auf den großen Landgütern Italiens wie der Provinzen. Entsprechend finden sich Grabsteine, auf denen sich Freigelassene als medici bezeichnen. Dies zusammen gibt das Bild eines sehr differenzierten Ärztestandes: Sklaven, Freigelassene, eingewanderte Griechen und andere Ausländer, die das römische Bürgerrecht erlangt hatten, einige von ihnen Spitzenverdiener. Hinzu kommt das Sanitätspersonal der römischen Armeen, das gleichfalls rangmäßig aufgefächert war.

Es mag den modernen Betrachter überraschen, daß neben Männern auch Frauen in der medizinischen Praxis tätig waren. Daß Frauen als Hebammen Geburtshilfe leisteten, bietet nichts Außergewöhnliches und ist fast bei allen Völkern des Altertums die Regel. Doch schon in griechischer Zeit gibt es Grabinschriften, auf denen sich Frauen als Ärztinnen bezeichnen, und wir kennen einzelne Beispiele in der römischen Kaiserzeit. Es darf jedoch bezweifelt werden, daß Frauen auf anderen Gebieten als der Geburtshilfe und Gynäkologie tätig waren.

Der Gemeindearzt – Archiatros

Eine besondere Stellung nahm der öffentlich bestellte Gemeindearzt ein. Diese Institution kannten schon die Griechen des 6. Jahrhunderts v. Chr. Sie wurde auch in der römischen Zeit beibehalten. Dies hat vermutlich in der Regel so ausgesehen, daß Ärzten von einer Stadt ein bestimmtes Salär ausgesetzt wurde – die Behandlung der Kranken erfolgte jedoch nicht gratis – oder sie andersartige Privilegien genossen. In Inschriften und in der literarischen Überlieferung ist immer wieder eine Befreiung der Ärzte von Steuern, Abgaben und Ämtern nachweisbar. Gelegentlich mußten die Kaiser sogar gegen den Mißbrauch solcher Befreiungen angehen. So regelt etwa ein Erlaß des Antoninus Pius, der sich an das Koinon Asiens richtet, daß Städte nur eine begrenzte Zahl von Gemeindeärzten einstellen dürfen. Die Institution des Gemeindearztes ist eines der Anzeichen, daß in größer werdenden städtischen Gemeinden die Notwendigkeit einer geregelten ärztlichen Versorgung der Bevölkerung begriffen wurde.

Für den Gemeindearzt wird in der späteren Kaiserzeit der Name Archiatros (etwa: "der erste Arzt"), der vorher als Ehrentitel begegnet, üblich, von dem sich das deutsche Wort Arzt herleitet. Man kannte die archiatri palatini als Ärzte des Kaiserhauses und archiatri populares, Ärzte der städtischen Gemeinden. Ihre Pflichten regelt für die Spätzeit ein Edikt Kaiser Constantins aus dem Jahre 321 n. Chr., in dem ihre Ernennung, auch eine mögliche Absetzung bei Unfähigkeit, die Verpflichtung zum Unterricht, die Befreiung von Abgaben sowie die Besoldung paraphiert wurden.

Einen besonderen Aspekt ärztlicher Tätigkeit veranschaulichen Inschriften des zweiten Jahrhunderts aus Ephesos, die leider durchweg in sekundärer Verbauung in der ephesischen Marienkirche entdeckt wurden. Sie berichten von jährlich ausgetragenen Agonen (Wettkämpfen) der ephesischen Ärzte in verschiedenen Gebieten der Medizin, darunter der Chirurgie. Wie dies im einzelnen ausgesehen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Handelte es sich im einzelnen darum, die Lösung einer bestimmten medizinischen Aufgabe zu erarbeiten und einer Kommission einzureichen, in einem problematischen Fall die richtige Diagnose zu stellen oder wurden die ärztlichen Leistungen über das gesamte Jahr hinweg honoriert? Bleibt all dies im unklaren, so geht aus dem epigraphischen Material doch mit Sicherheit hervor, daß die Ärzte von Ephesos sich an ein Mouseion anschlossen, also eine Institution zur Förderung der Wissenschaften, die vermutlich ähnlich wie das größere und bedeutendere Vorbild des Mouseions von Alexandria strukturiert war. Die Ärzte speziell standen dabei unter dem Schutz des Gottes Asklepios, der in Ephesos ein Heiligtum besaß, und sie bezeichnen sich in den Inschriften als archiatri, d. h. Gemeindeärzte.


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